Ambipoly - Neues Kunststoffrohr aus Amerika

 

Ambipoly - so nennt Silverstein Works sein neu entwickeltes synthetisches Material, aus dem neben Klarinetten- und Saxophonblättern nun auch Oboenrohre gefertigt werden. Aufgebunden auf eine Chiarugi Typ 2 Hülse geht Silverstein Works einen anderen Weg als vorherige Produzenten und setzt auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Ist das Synthetische Rohr der "2.Generation" eine echte Alternative zum Schilfrohr?


Schon vor einigen Jahren hatte eine andere Firma (Légère) für ein Aufhorchen bei uns Oboisten gesorgt und kam mit einem vollkommen aus Kunststoff gefertigten Oboenrohr daher. Die damalige Herangehensweise war das Prinzip Plug-and-Play. Keine Hülse aus Kork und Metall, kein Aufbindegarn und keine Zwinge oder Abdichtband sind an dem Oboenrohr von Légère zu finden. Der Spieler sollte sich nicht mehr über das Oboenrohr Gedanken machen müssen und frei sein vom Rohrbaustress.

In einem früheren Blogartikel habe ich auch dieses Rohr getestet und über meine Erfahrungen berichtet.

Mittlerweile hat sich bei vielen Oboisten die Ernüchterung eingestellt, dass das synthetische Material schon ganz gut klingen kann, dass aber trotz des sehr genauen Produktionsprozesses jedes Rohr unterschiedlich ausfällt und sich auch mit der Zeit verändert.

Silverstein Works geht mit seinem neu entwickelten Kunststoff "Ambipoly" neue Wege und schreibt auf der Website über eine komplette Neuentwicklung des Materials. Neben den guten Klangeigenschaften nimmt es Feuchtigkeit in geringem Maße auf, soll stabiler, mit allen Rohrbaumaterialien bearbeitbar und vor allem immer gleichbleibend sein.

Ob das Ambipoly Oboenrohr seine Versprechen hält, stelle ich euch in meinem Test vor.

 

Das Ambipoly Oboenrohr macht auf den ersten Blick einen sehr guten Eindruck. Die schwingenden Rohrblätter liegen sehr gut aufeinander und verrutschen nicht. Die Qualität der Bindung ist ebenfalls sehr gut und gibt den schwingenden Rohrteil genug halt ohne es zu zerdrücken.
Die Bahn ist sehr fein ausgearbeitet und man kann keinerlei Kanten oder Rillen entdecken. Auch die Ansprache ist fehlerfrei gearbeitet. Die verwendete Hülse beim Standard Modell ist von Chiarugi  der Typ2 mit 46mm in wie gewohnt hervorragender Qualität.

Optisch besser kann ein Oboenrohr eigentlich nicht aussehen.

Die Bahn des Oboenrohrs ist sehr genau ausgearbeitet.
Die Bahn des Oboenrohrs ist sehr genau ausgearbeitet.

Nun aber zum wichtigsten Parameter. Wie spielt es sich? 
Der erste Anspielversuch funktionierte ohne Probleme und es waren leicht alle Register zu spielen. Die Ansprache gelingt, sowohl in der Tiefe als auch in der Höhe, sehr gut und sehr leicht. Der Blaswiderstand war mir jedoch zu gering und insgesamt fand ich das Rohr sehr leicht, obwohl ich die bisher schwerste Variante (mittelhart) zum Testen hatte. Daher war ich mit dem Klang vorerst auch nicht wirklich zufrieden. Zu hell und zu plärrig klang es für mich.

Da aber das Ambipoly-Oboenrohr mit allen gängigen Rohrbaumaterialien bearbeitbar sein soll und es zudem auch noch ein wenig zu tief war, lag es nahe dieses einfach ein wenig zu kürzen. Schon diese kleine Anpassung bewirkte bei meinem Rohr Wunder. Klanglich war es nun deutlich ansprechender, warm und voller Obertöne.

Zwar kommt es an den unvergleichlichen Klang eines Schilf-Oboenrohres noch nicht heran, aber es ist für einen nicht Oboisten nur wenig Unterschied zu hören. Ich habe es zudem auch im Orchester in einer Probe getestet und Intonation und Klang kamen auch bei den Kollegen gut an. Auf einem Schilfrohr habe ich jedoch ein größeres und flexibleres Klangvolumen und fühle mich sicherer. Das kann aber auch daran liegen, dass das Ambipoly-Rohr für mich etwas zu leicht ist.  Die Frage ist auch, ob ein synthetisches Rohr das Schilfrohr überhaupt ersetzen soll oder nur in schwierigen Bedingungen wie Wetter- und Ortswechsel etwas Sicherheit bieten kann. Auch Oboisten mit wenig Rohrbauerfahrung kann das Ambipoly-Rohr Sicherheit bieten, da es bei meinem Test wirklich immer gleich ging. Für die letzten Feinheiten und den persönlichen unvergleichbaren Klang wird wohl aber noch länger das Naturmaterial Schilf in Verwendung bleiben. Die Natur behält uns (bis jetzt) immer noch ein kleines Geheimnis vor.

Klangbeispiele:

Ambipoly-Rohr (nach Anpassung)

Messpunkte in µm beim Ambipoly-Rohr
Messpunkte in µm beim Ambipoly-Rohr

Die Seiten liegen sehr gut aufeinander und verrutschen nicht. Für die Dichtigkeit benötigt das Rohr jedoch Abdichtband.
Die Seiten liegen sehr gut aufeinander und verrutschen nicht. Für die Dichtigkeit benötigt das Rohr jedoch Abdichtband.
Rohröffnung von oben
Rohröffnung von oben

Sehr gut ist, dass Silverstein Works es geschafft hat das Material so zu formen, dass die Rohröffnung im guten Mittelmaß liegt. Die Spannung ist mir jedoch ein wenig zu gering, welche bei einer schwereren Variante etwas größer gewählt werden sollte. 

Interessant ist, dass das Material etwas Feuchtigkeit aufnimmt, was dann deutlich die Schwingung verbessert. Ein kurzes Eintauchen oder Lutschen am Rohr genügt und es schwingt besser.

Sehr gut ist auch, dass Silverstein Works den Weg der Flexibilität geht. Neben drei Stärken kann auch die Hülsenlänge und die Rohrlänge gewählt werden.

Durch die gewählte Standard-Hülse (Chiarugi Typ2) erreicht man zudem ein breites Spektrum an Oboisten und ein Hülsentausch ist durch einfaches Umbinden auch möglich. Schaben und Kürzen des Oboenrohres sind ebenfalls kein Problem und auch das Anbringen einer Zwinge sollte für geübte Oboisten kein Problem darstellen. Später sollen zudem noch individuelle Varianten herauskommen, welche die Anpassung an die eigenen Wünsche erleichtert.


Einige wichtige Fragen bleiben jedoch, die ich in diesem Test nicht beantworten kann. Gehen wirklich alle Ambipoly-Oboenrohre gleich oder habe ich nur ein gutes erwischt? Wie lange halten die Rohre? Laut Hersteller sind die Langzeittests bisher bei 8 Monaten. Ein wirklich unglaublich langer Zeitraum für ein Oboenrohr.

Ich denke wir kommen einer echten Alternative zum Rohrbau wieder etwas näher, aber für den individuellen besonderen Klang brauch es neben Schweiß und Nerven wohl auch noch ein kleines Stück Schilf.

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Kommentare: 3
  • #1

    Margaret Friederich (Dienstag, 14 September 2021 14:18)

    Klingt super.
    Wenn es aus Amerika kommt, warum dann. European scrape?
    Könnte man, wie beim Aussenhobel, ein eigenes Musterrohr einschicken und eine exakte Kopie von Ambipoly erhalten?

  • #2

    Mario Karger (Freitag, 07 Oktober 2022 17:22)

    Es gibt übrigends jetzt eine Kooperation von K.Ge und Silverstein. K.Ge fertigt aus Ambipoly jetzt auch seine "Bocal Reeds". Das sind Rohre aus einer neuen, an den Enden sich wieder verbreiterten Facon, die zu einem quasi Mini Fagottrohr verdrahtet wird und nur noch ohne Aufbinden auf eine Hülse gesteckt wird. Die Dichtigkeit wird nur mit einem Dichtband hergestellt. Man kann sehr einfach ohne Umbinden verschiedene Hülsen ausprobieren. K.Ge liefert auch passende gebogene Hülsen also gewissermaßen mini Esbögen. Daher wohl der Name Bocal Reeds.

  • #3

    Mario Karger (Mittwoch, 02 Oktober 2024 20:20)

    Mittlerweile habe ich direkte Erfahrung mit einem Ambipoly-Rohr sammeln können. Ich habe mir ein Medium "Aperto" Typ zugelegt, das noch persönliche Nachbearbeitung benötigt und daher preislich etwas günstiger war. Wegen fehlender Spannung musste ich eine Drahtzwinge anbringen, danach war das Schwingungsverhalten akzeptabel. Das Material ist ziemlich hart, kann aber nachgeschabt werden. Bei dem plexiglasartigem Material kann man die Folgen seiner Schabung nur schlecht visuell erkennen. Beim Anblasen merkt man aber die Veränderungen. Im Ergebnis habe ich ein gut spielbares Rohr, das klanglich etwas härter ist, als ein gutes Holzrohr.